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[talks]

Zsófia Bán

Ich muss Ihnen ein Geheimnis verraten. Ein Geheimnis, das zwar alle Frauen kennen – ich hoffe, die Anwesenden werden das bestätigen – das ich aber, mit Blick auf die Festivitäten, Ihre nachträgliche Erlaubnis vorausgesetzt, auch unseren männlichen Mitbürgern enthüllen möchte, vielleicht kann das ja irgendwann einmal von Nutzen sein. Wenn es etwas gibt, was Frauen fern liegt, dann ist es das Halten von Reden. Bevor jetzt jedoch jemand übereilte Schlussfolgerungen zieht, füge ich schnell hinzu, dass dem nicht etwa so ist, weil Frauen keine vernünftigen kleinen Reden zustande bringen würden, keine rhetorischen Schmuckkästchen, die hübsch glänzen und glitzern und aus denen, wenn der Deckel angehoben wird, das `Auf, die Heimat ruft, Magyaren!´ und `Seite an Seite durch dick und dünn´ nur so sprudelt und die Zuhörerschaft elektrisiert. Nein, nicht deshalb. Sondern, weil die Rede eine Kunstgattung ist, die nur in eine Richtung funktioniert, wie eine Einbahnstraße, wenn nicht sogar – was der schlimmere Fall wäre – wie eine Sackgasse. Die Rede ist eine Fortbewegung in eine Richtung, ein monologisches Genre, das Frauen und Mädchen äußerst fremd ist, da die weibliche Art der Fortbewegung, oder nennen wir das Kommunikation, in erster Linie dialogisch verläuft, das heißt, auf Zwiesprache gründet. Behalten Sie das doch bitte im Kopf, falls Sie eine Frau gerade mal keine Rede halten hören, falls eben eine Art Mangel, ein Defizit spürbar wird, und den Gedanken nahe legen könnte: Hoppla, hier müsste jetzt eine Rede folgen, und da ist sie auch schon, die Frau, die sie halten könnte, denn die Jungs, die spielen gerade Polizist oder Feuerwehrmann oder hüten die Schaf oder schütteln`s Bäumelein und die Frau hat scheinbar just eh nichts zu tun, da könnte sie doch auch auf dieses schmucke kleine Podium klettern und die sich hier anbietende elektrisierende Rede halten. Aber nein, den Teufel wird sie tun! Worauf wartet sie bloß?, fragt sich da sicher das Publikum und wird immer ungeduldiger. Schließlich sind wir nicht hier, um keine Rede zu hören – und da geschieht plötzlich etwas Wundersames: Die Frau, die gleichwohl auch eine Rede halten könnte, tritt stattdessen zu jemandem in der ersten Reihe, berührt ihn am Arm, setzt sich neben ihn und stellt ihm eine Frage. Woraufhin dem Angesprochenen unversehens eine Antwort herausrutscht; er antwortet ihr also. Da breitet sich auf dem Gesicht der Frau – die ja, wenn sie schon mal da ist, auch gleich die Rede hätte halten können – ein strahlendes Lächeln aus, weil sie weiß, dass das nun ein Heimspiel für sie wird. Sie weiß, ab jetzt wird diese Sache laufen wie am Schnürchen, diese Sache, gemeinhin auch bekannt unter dem Namen: Gespräch. Und während dieses Gespräch in Schwung kommt, dreht sich der Angesprochene zu seinem Sitznachbarn um und fragt auch den etwas, dieser wiederum gibt ihm, ohne groß nachzudenken, eine Antwort, und so geht es immer weiter, bis schließlich ein Gesprächs-Tsunami durch den ganzen Raum fegt, und statt verzweifelt dagegen anzukämpfen, geben sich alle dieser geheimnisvollen Kraft hin und lassen sich von der Flutwelle des Gesprächs packen, soll die Strömung sie doch mitreißen, wohin sie will! Nun huscht die Frau, die ihre Rede gleichwohl auch hätte halten können, diskret aus dem Raum, denn hier hat sie das Ihre getan, und eilt in einen anderen Saal, in dem vielleicht ebenfalls eine Rede erwartet wird.

Jetzt aber, bevor auch ich jemanden anspreche und mich neben ihm niederlasse, um später diskret in einen anderen Raum zu huschen, komme ich auf die andere geheime Geschichte des heutigen Tages zu sprechen – so stehe denn der aktuelle 15. März im Zeichen des Geheimnisses! Die Narrative der Märzrevolution von 1848 hat sich bis heute bereits zu einem funkelnden, harten Diamanten verdichtet, den man in der Brusttasche über dem Herzen trägt. (Für Frauen empfiehlt sich das Tragen als Brosche, neben der Kokarde.) Er hat sich verdichtet, ist vollendet, und es genügt, ihn ab und an zur Feierstunde hervorzuholen, auf den Handteller zu legen und zu bewundern. Aber, und hier kommt das erste Quentchen Geheimnis: Die Narrative der Revolution ist nicht gleichbedeutend mit der Geschichte, den Geschichten der Revolution. Die Narrative ist nämlich eine Maschinerie, die notwendigerweise selektiert, gewichtet, ausmustert, ein Wertesystem aufstellt, also etwas baut, etwas konstruiert. Ein Bauwerk aber hat Wände und diese Wände haben die Funktion, all jenen Raum auszuschließen oder wegzusperren, den die Erbauer aus irgendeinem Grund nicht innerhalb der Wände haben wollten. Der solcherart zumeist erfolgreich ausgeschlossene Raum entspricht der Rolle der Frau in der Revolution. Denn, mit Verlaub, wo hat man denn jemals Frauen bei einer Revolution herumlaufen sehen? Wenn sich die Ungarn beispielsweise anschicken, auf die Barrikaden zu gehen, dann suchen sie gerade ihre Handtaschen. Wenn es gilt, Mihály Táncsis aus dem Gefängnis zu befreien, verheddern sie sich in Rüschen und Spitzen und plumpsen gleich Laubfröschen auf die revolutionären Pflastersteine. Wenn es darum geht, das Zwölf-Punkte-Programm zu formulieren, diskutieren sie darüber, ob nicht dreizehn Punkte besser wären, schließlich sei die Dreizehn, entgegen dem weit verbreiteten Aberglauben, eine Glückszahl (und hier würde dann zur Untermauerung der These eine längere Geschichte darüber folgen, was beispielsweise in diesem Zusammenhang einer Schwägerin widerfahren ist). Kurz und gut, so kann man keine diamantharte Narrative konstruieren, das wird wohl jedermann schnell einleuchten. Man kann den Diamanten aber auch als Prisma verwenden, und den von diesem Prisma gestreuten, vielfältigen und vielfarbigen Geschichtenstrahlen nachgehen.

Da wäre zum Beispiel die Geschichte der besagten Geheimwaffe. Der Geheimwaffe der Revolution. Ich wette, davon haben Sie noch nie gehört. Übrigens nicht in dem Sinne Geheimwaffe, dass damit die Revolution gewonnen worden wäre, denn der Narrative zufolge haben wir die ja, leider, verloren, nicht wahr? Aber dafür haben wir etwas anderes gewonnen, etwas, das nicht in die Kategorie der bewaffneten, sondern in die Kategorie der unbewaffneten Revolution gehört. Etwas, das zweifelsohne weniger spektakulär ist, als die bewaffnete Narrative und sich nicht für Unsummen zu einem bunten Kostümfilm-Spektakel im Breitwandformat verarbeiten lässt. Etwas, von dessen Erträgen aber über viele Jahrhunderte hinweg unmerklich profitiert werden kann. Etwas, das täglich von Nutzen ist und das als Evidenz betrachtet werden kann, etwas, das nur zu einem nicht taugt: dem Vergessen jener, die als Erste die Idee dazu hatten, mehr noch, die nicht nur die Idee hatten, sondern diese, zur revolutionären Tat schreitend, auch tatsächlich verwirklichten. Noch immer wage ich nicht auszusprechen, worum es geht, so revolutionär und so geheimnisvoll ist es.

Nein, tut mir leid, ich meine nicht die üblichen, schnell hingeworfenen Belanglosigkeiten, denen zufolge tüchtige junge Frauen Kokarden genäht, Fahnen bestickt und Scharpie für Wundverbände gezupft oder während der Vorstellung der Oper Bánk Bán im Nationaltheater die hübsch anzusehende Zuschauermasse gebildet hatten. Und ich meine auch nicht die tapfere Mária Lebstück, “Leutnant Maria”, die sich nicht scheute, unter einem Männernamen und in Männerkleidung als Honvéd-Offizier an den Revolutionskämpfen teilzunehmen, während der Belagerung von Buda ihren zukünftigen Mann kennenzulernen und auf dem Gefechtsfeld zu ehelichen und später in Arad, während der Festungshaft, einen Jungen zur Welt zu bringen, was doch, das muss man zugeben, ein sehr außergewöhnliches Verhalten für die künftige Hauptfigur einer romantischen Operette ist. Und nein, ich meine auch nicht Júlia Bányai, deren Leben, falls das möglich ist, sogar noch abenteuerlicher war, die, nachdem ihr Mann 1848 das Zeitliche gesegnet hatte, zunächst als Kunstreiterin beim Zirkus in Wien ihr Auskommen suchte, was aber noch gar nichts ist, weil sie sich nämlich bei Ausbruch des Freiheitskampfes unter dem Namen ihres Mannes, in Männerkleider gehüllt zur ungarischen Landwehr meldete – kann man dem geliebten Gefährten wohl ein schöneres Denkmal setzen? – wo sie es bis in den Rang eines Hauptmannes brachte. Ihre legendäre Tapferkeit wurde sogar von General Bem durch eine Auszeichnung und später, im türkischen Exil, durch die Beförderung zum Rittmeister gewürdigt. Aber Júlia kämpfte nicht nur mit der Waffe, sondern auch mit dem Verstand, denn sie führte umfangreiche Spionageaktionen innerhalb der österreichischen und russischen Truppen durch. Dank ihrer vorzüglichen Französischkenntnisse konnte sie die nichtsahnenden russischen Soldaten als Tänzerin aus Paris betören. Und, nein, ich denke auch nicht an das Musterbild aller dem Geist von Achtundvierzig und ihren Gatten treu ergebenen Ehefrauen, an die Gräfin Antónia Zichy, Gemahlin Graf Batthyánys, die abgesehen davon, dass sie ihren Mann zur Teilnahme an der Politik überredete und eifrige Unterstützerin des Ungarischen Schutzvereins war, der für die Priorität nationaler Erzeugnisse eintrat, bei der Verhaftung ihres Mannes schließlich zu einer Tat von erschütterndem Heldenmut und großer Erhabenheit im Stande war. Als sie erfuhr, dass man Batthyány seines aristokratischen Ranges ungeachtet zu einem erniedrigenden Tod durch den Strang verurteilt hatte, schmuggelte sie ihm einen Dolch ins Gefängnis, damit er seinem Leben durch eigene Hand ein Ende setzen könne. Dem Grafen allerdings gelang es lediglich, sich am Hals zu verletzen, wodurch es dann aber unmöglich wurde, ihn zu hängen, so dass er doch durch die Kugel sterben musste. Und hier könnte ich noch unzählige Historien von Frauen aufzählen, die mit ihren heldenhaften Taten ihre Namen der Geschichte der Revolution einschrieben – denn auch sie sind zumeist nicht in der Narrative angekommen.

Das, worüber ich hier aber eigentlich sprechen möchte, ist noch weitaus umstürzlerischer, ich könnte auch sagen, radikaler, so wie sich das für richtige Revolutionäre gehört. Die Rede ist davon, dass irgendwo – es war einmal, vor langer Zeit – ein paar Frauen die Köpfe zusammensteckten. Noch lange bevor der Gedanke der Revolution aufkam, unterhielten sich also Sára, Teréz und Mária miteinander, und auf einmal sagte Teréz (geb. Brunszvik), sie sei davon überzeugt, dass es für Kinder das Beste sei, mit anderen Kindern zusammenzusein, und auch den Frauen täte es gut, ein bisschen mehr Zeit für sich und natürlich ihre geliebten Ehemänner zu haben. Gesagt, getan. An einem schönen, warmen Junitag des Jahres 1828 gründete sie die erste Kindertagesstätte und gab ihr den Namen Engelgarten. Bald war die Zahl solcher Einrichtungen landesweit auf 80 angewachsen, ohne dass darüber viel Aufhebens gemacht worden wäre. Und falls Sie hier etwa meinen, einwerfen zu müssen: Aber Entschuldigung, wo ist da die Revolution? Dann müsste ich Ihnen sagen, das sie genau dort ist, nur sollte man sie nicht durch die Brille der Narrative, sondern durch die Brille der Geschichte betrachten (Sie wissen schon, so wie diese 3D-Brillen im Kino) und schon wird aus dem flachen Bild ein plastisches.

Aber das Beste sollte erst noch kommen. Die Zeit verging und man schrieb schon das Jahr 1846, da ergab es sich, dass eine hübsche Nichte von Teri, die auf den Namen Blanka Teleki hörte, sich – sicherlich beeinflusst von ihrer eigensinnigen Tante – etwas in ihren reizenden kleinen Kopf setzte. Etwas, das ich jetzt ganz leise sage, damit es keinem Unbefugten zu Ohren kommt, nämlich, dass man auch die Mädchen unterrichten müsste. Als sie das ausgesprochen hatte, breitete sich im Zimmer eine solche Stille aus, dass man selbst das Ticken des Holzwurmes hören konnte. Auf ihre Worte aber folgten revolutionäre Taten: Sie eröffnete auf der Stelle ein Bildungsinstitut für Mädchen, welches zwar nur adligen Mädchen offen stand, aber adlige Mädchen sind schließlich auch Mädchen, also keine Diskriminierungen, bitte! Unsere Blanka war nämlich davon überzeugt, dass anstelle fremdsprachiger Gouvernanten mit mangelndem Wissensstand lieber allseits gebildete, patriotisch gesinnte Lehrer wie zum Beispiel Pali Fejér (der übrigens unter dem Namen Pál Vasvári in die Große Narrative einging) die Mädchen unterrichten sollten, und insbesondere, dass dies auf Ungarisch zu geschehen habe. Blanka nahm sich Klára (geborene Leovey) zur Seite und gemeinsam leiteten sie das Institut. Es stimmt natürlich, dass noch im Jahre 1846 die liebe kleine Rózsika (das Patenkind von Ferenc Deák) ihr einziger Zögling war, aber schon im Jahr darauf richteten sich 14 glänzende Augenpaare auf den Herrn Lehrer, welcher jedoch, beim Ausbruch der Revolution – und da wären wir jetzt auch endlich beim Thema angelangt – von anders gearteten Tätigkeiten vom Katheder weggerufen wurde. Blanka und Klárika dachten voller Neid: Ach, könnten doch auch wir Revolution machen gehen! Und über alldem bekamen die beiden Goldstücke gar nicht mit, dass sie schon bis zum Hals darin steckten, während die Jungs noch nicht einmal ihren Säbel umgeschnallt hatten. Sie verfügten über eine Geheimwaffe, die viel gefährlicher war, als ein Säbel, aber leider wusste das auch der kaiserliche Apparat nur zu gut. Nach der endgültigen Niederlage bei Világos musste das Institut dann auch schließen, und Blanka und Klárika zogen sich auf das Schloss der Telekis in Pálfalva zurück, sie versteckten Flüchtlinge und natürlich jede Menge Samisdatschriften, die damals selbstverständlich noch nicht so genannt wurden. Das brachte ihnen dann Besuch von oben ein, und alles wurde durchwühlt, beschlagnahmt, zertrümmert und zerrissen (es scheint, als ob die Methoden die gleichen bleiben, und nur die Firmennamen wechseln). Klárika verbrachte fünf, Blanka sechs schreckliche Jahre unter den grausamsten Bedingungen in der schroffen Festung von Kufstein. Sie ließen sich nicht brechen oder zu einem Gnadengesuch bewegen. Die sie eingesperrt hatten, konnten nicht wissen, dass all ihre Anstrengungen vergeblich, ihre Grausamkeiten umsonst sein würden, denn die Mädchen hatten eine Geheimwaffe: ihre Überzeugung, dass das Wissen allen gehört. Blanka erkrankte nach ihrer Freilassung und starb ein Jahr später, 1862. Klára musste, nachdem sie ihre Strafe auf Kufstein verbüßt hatte, betrübt feststellen, dass nicht nur die Revolution der Großen Narrative, sondern auch ihre geheime Revolution niedergeschlagen worden war. Die Sache der Bildung für Frauen war kein bisschen vorangeschritten (meinte sie), und auch ihr später erneut gegründetes Institut musste schließen. Man kann ihr nicht absprechen, dass sie wirklich sehr vieles wusste, aber eins, so scheint es, wusste sie nicht, nämlich, dass die Dinge sich nicht voranbewegen wie ein Wagen auf gerader Strecke, sondern Schlenker nach rechts und links machen und scheinbar zum Halten kommen, aber durch die dreidimensionale Brille kann man gut sehen, dass es gar nicht von Bedeutung ist, wie weit eine Sache vorankommt, sondern nur, dass sie sich überhaupt in Bewegung setzt. Von da an kann sie nämlich nichts und niemand mehr aufhalten.

Und jetzt gestatten Sie mir, in Ihrer Mitte Platz zu nehmen, bevor ich in einen anderen Raum husche.

(übersetzt von Ilka Russy)